Das konstruktivistische Imaginäre. Modelle der Überschreitung von Kunst im russischen Konstruktivismus 1920-1923
Das Dissertationsprojekt unternimmt eine Re-Lektüre des frühen russischen Konstruktivismus, wie er zwischen 1920 und 1923 am Moskauer Institut für künstlerische Kultur (INChUK) entsteht. Im Mittelpunkt steht die kritische Auseinandersetzung mit dessen Anspruch, das Verhältnis von Kunst und gesellschaftlicher Wirklichkeit radikal zu verändern. Die Dissertation setzt hier an, indem sie ein zentrales Axiom des Konstruktivismus historisiert, das nicht nur von den konstruktivistischen Künstler/innen und Theoretiker/innen konsensual geteilt wurde, sondern das auch die kunsthistorische Forschung prägt/e: die Auffassung, dass eine fortschreitende material- und formbezogene Selbstreflexivität der Kunst zu deren unmittelbarer Teilhabe am ‚Realen‘ führe. Das Projekt stellt diesem (teleologischen) Narrativ eine alternative Geschichte entgegen, indem es anhand der künstlerischen Arbeiten, Texte und Diskussionen der INChUK-Mitglieder die Komplexität, Heterogenität und Widersprüchlichkeit ihrer Modelle einer Überschreitung von Kunst in den Blick nimmt.
In meinem Projekt erkunde ich die verschiedenen (theoretisch und praktisch zum Ausdruck gebrachten) Konzeptualisierungen des Konstruktivismus einerseits entlang der Transformation des Werks, indem ich die die Verschiebung von einer anti-repräsentationalen, zugespitzt selbstbezüglichen Produktionsweise zu einem verzeitlichten, da historisch konzeptualisierten „Materialismus der Form“ nachzeichne. Andererseits rekonstruiere ich anhand von Vorträgen und Debatten am INChUK ab Herbst 1921 sowie ausgewählten Texten verschiedener Mitglieder weitere, der produktivistischen Theorie nahestehende Modelle: In diesen werden anstatt der vorausgegangenen abstrakten Realisierung gesellschaftlicher Zweckmäßigkeit nunmehr die Möglichkeiten und Grenzen einer unmittelbaren Vergesellschaftung der Kunst u.a. als Arbeit in der industriellen (Massen-)Produktion ausloten. Die mit diesem Realitätsbezug einhergehenden Konflikte werden in der Dissertation ökonomie- und sozialhistorisch expliziert und im Hinblick auf weitere zeitgenössische Diskurse um die Annäherung von kreativer und manueller Arbeit und das Verhältnis von Ideologie und Praxis kontextualisiert.
Univ.-Prof. Dr. Eva Kernbauer
Univ.-Prof. Dr. Sebastian Egenhofer
IFK_Junior Fellowship Stipendium 2015-2017
Stipendium der Literar Mechana zur Fertigstellung der Dissertation 2020