Mimesis und Formlosigkeit – Alexander Cozens (1717–1786)
Der englische Künstler Alexander Cozens (1717–1786) publizierte in den Jahren 1759 und 1785/86 eine Methode, mithilfe selbst angefertigter, formloser Tuschekleckse die Erfindung von Landschaftsbildern zu stimulieren. Die anti-akademischen Züge dieser Methode und bemerkenswert „abstrakt“ anmutende Aquatinta-Grafiken, die den späteren Traktat begleiteten (A New Method of Assisting the Invention in Drawing Original Compositions of Landscape), rückten Cozens im 20. Jahrhundert in den Blick der kunsthistorischen Forschung und einschlägiger Fragestellungen zu Autorschaft und Zufall, Kunst und Natur oder Ästhetik und Wahrnehmungstheorie.
Das Dissertationsprojekt wird drei primär kunstferne zeitgenössische Diskurse in den Blick nehmen, welche als Quelle und Impulsgeber für Cozens' Methode greifbar werden sollen:
Die großen Erdbeben der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Lissabon 1755 und Sizilien/Kalabrien 1783, haben wie kaum ein anderes Thema Debatten in verschiedenen Disziplinen ausgelöst. Neben erwartbar negativen Reaktionen auf die Verwüstungen und Opferzahlen gab es auch gewichtige Stellungnahmen, die Erdbeben eine produktive, „revolutionäre“ Kraft zusprachen (Kant). „Beben“ und „Erschütterungen“, die Neues entstehen lassen, tauchen als Motiv auch in anderen Diskursen auf. Im Rahmen der Dissertation soll beleuchtet werden, ob Erdbeben im Rahmen der Cozens-Methode zum Modell eines alternativen Verfahrens der Bilderzeugung werden, welches Gegenständlichkeit im Modus der Erschütterung kreativ öffnet.
Die Vorstellung einer „mütterlich-monströsen Einbildungskraft“ bringt im 18. Jahrhundert Hautflecken und Schwangerschaft unmittelbar in Verbindung: Einschneidende Erlebnisse der Frau würden sich demnach auf dem Körper des werdenden Kindes als Muttermal abzeichnen. Ein „Lesen“ dieses Muttermales erlaube Rückschlüsse auf das Ursprungsmoment der weiblichen „Klecksproduktion“. Die Theorie verliert im 18. Jahrhundert kontinuierlich an Boden. Die Dissertation geht der Frage nach, ob sie mit der Cozens-Methode in den künstlerischen Bereich abgewandert ist, um zur Vorlage für bildnerische „Geburtsvorgänge“ zu werden.
Die Mikroskopie, erfunden im 17. Jahrhundert, wird im 18. Jahrhundert zu einem breiteren gesellschaftlichen Phänomen als Teil einer wissenschaftlich eingefärbten Unterhaltungskultur. Die Fremdheit des Gesehenen erzeugt einen Interpretationsdruck, der spielerisch aufgelöst werden kann; das Chaotisch-Formlose wird in menschliche Erfahrungs- und Vorstellungswelten eingemeindet. Die Dissertation wird die Frage stellen, ob die Cozens-Methode als künstlerischer Widerhall mikroskopischen Sehens und Deutens verstanden werden kann.
Rolf Wienkötter
Univ.-Prof. Dr. Eva Kernbauer