Krise als Form
Tagung
Zeitgenössische Formen von Gesellschaft, Kultur und Kunst scheinen sich in einem permanenten Zustand der Krise zu befinden. Was aber ist eine Krise? Der Begriff wird häufig benutzt, um zumindest indirekt eine objektive Beschreibung eines idealen, harmonischen Zustands zu liefern, der aus den Fugen oder in Unordnung geraten, oder gar durch ein katastrophisches Ereignis in seiner Existenz bedroht ist. In diesem Verständnis wurzelt der Begriff der Krise in der Natur der Dinge selbst, beispielsweise in den historischen Bedingungen des Kapitals und der dadurch definierten sozialen Verhältnisse, oder im Prozess einer Entfremdung der Kultur von sich selbst, verursacht vor allem durch eine instrumentelle, vor allem an Nutzen und Verwertbarkeit interessierte Vernunft. Solche objektiven Verortungen der Krise bleiben jedoch stets auch auf ein subjektives Moment angewiesen, dass sich in den besonderen Sprechakten der Diagnose, Kritik oder auch eines versöhnenden Ausblicks zeigt. In dieser Hinsicht erscheint Krise als ein Beschreibungsmodus voller idealistischer Voraussetzungen und Dringlichkeiten, als eine rhetorische Trope, die stets ein wissendes Subjekt ins Zentrum seiner semantischen und pragmatischen Operationen setzt. Über Krise zu sprechen scheint stets beide Aspekte zu vereinen, und die grundlegende Frage der Konferenz wird daher sein, wie die objektiven und die subjektiven Aspekte der Krise aufeinander bezogen bzw. eben auch nicht bezogen werden können.
Die subjektiven wie die objektiven Seiten der Krise implizieren jeweils formale Aspekte sowohl hinsichtlich der Frage, was sich im Zustand der Krise befindet als auch welche Formen von der Krise in Gang gesetzt werden: Formen der Subjektivierung und soziale Formen, kulturelle Formen und Wertformen, Formen, unter den Individuen leiden und Formen, die sie in ihren politischen, kulturellen und künstlerischen Praktiken erst hervorbringen. Die objektiven Formen können stets nur unter der Bedingung subjektiver Aussageakte erscheinen und umgekehrt folgen diese objektivierbaren kulturellen Mustern, aus denen sie ihre jeweiligen Motivationsquellen ziehen. Diese strukturelle Verknüpftheit macht deutlich, dass sich erst im Problem der Form die politische Dimension des Krisenbegriffs zeigt. Gegenüber der Vorstellung, dass es sich bei der Krise um eine Abwesenheit von Form handelt, die wiederzugewinnen wäre, sei auf die Notwendigkeit der Vorstellung einer Krise als Form verwiesen, weil sich eben nur in der Form auch das Ungeformte, Nicht-Bezogene und die Anti-Form fassen lässt.
Freitag, 27. Jänner 2017
Panel I: Die Form der Diagnose: Krise als Historische Realität oder als Literarische Trope
14 Uhr: Begrüßung durch Rektor Gerald Bast
14:15 Uhr: Einführung von Helmut Draxler
15 Uhr: Kerstin Stakemeier, Diedrich Diederichsen, Peter Osborne
16 Uhr: Pause
17–18 Uhr: Diskussion
Ist es daher die objektive Krise selbst, die nach Kritik verlangt, oder offenbart erst die subjektive Kritik eine spezifische Unordnung der Dinge? Zeitdiagnostik ist mit Hegel zum eminenten Geschäft der Philosophie geworden. Die konkreten Sprechakte von Diagnose, Kritik und versöhnendem Ausblick lassen sich dementsprechend sowohl als historische Ontologie wie als kulturelle Epistemologie verstehen. Welche Realitäten eröffnen solche Sprechakte und welche verschließen sie? Was lässt sich als Symptom einer Krise deuten und wann wird die Diagnose selbst zum Symptom? Und welche epistemologischen, ethischen und ästhetischen Dimensionen liegen in der formalen Bedingtheit der Sprechakte von Diagnose und Kritik verborgen? Sind diese Sprechakte letztlich als Voraussetzung jeder Praxis zu begreifen oder bereits als eine besondere Form von Praxis?
Panel II: Die Form der Erzählung: Einheit oder Vielfalt der Krise
18 Uhr: Sabeth Buchmann, Eva Kernbauer
Jede Krisendiagnostik impliziert eine gewisse Erzählung darüber, wie sich die Krise historisch etabliert hat. Die „Großen Erzählungen“ der Moderne können etwa als Versuche verstanden werden, den krisenhaften Stand der Dinge zu überwinden. Diese Überwindungsversuche gelingen jedoch nicht; in ihrer Abfolge zeigen sie vielmehr eine strukturelle Wiederholung an, die in der wechselseitigen Abhängigkeit von Diagnose und Überwindung begründet liegt. Ist es möglich Erzählformen der Krise zu entwickeln, die mit dieser Struktur brechen? Muss die Krise überhaupt überwunden werden oder liegt ihr produktives Moment nicht gerade im Moment einer eher punktuellen Erkenntnis? Und wie könnte der historische Zusammenhang solcher Krisen-Ereignisse beschrieben werden? Das Panel versucht, mögliche Erzählformen der Krise im Spannungsfeld von Einheit und Vielfalt, Perspektivismus und Universalismus zu diskutieren.
Samstag, 28. Jänner 2017
11 Uhr: Nathan Brown, Eva Maria Stadler
12–13 Uhr: Diskussion
13 Uhr: Pause
Panel III: Eine Ethik der Form: Die praktische Herausforderung der Krise
14–15 Uhr: Präsentation und Diskussion der Arbeiten der Studierenden
15 Uhr: Katja Diefenbach, Alexi Kukuljevic, Felix Ensslin
16 Uhr: Diskussion
Rhetoriken der Krise scheinen vielfach zu unmittelbarer Aktion aufzurufen, und jede Aktion folgt bestimmten ethischen Voraussetzungen. Das Problem einer Ethik der Krise stellt sich in dem Moment, wenn weder rein objektive noch rein subjektive Gründe zur Rechtfertigung einer bestimmten Aktion in Stellung gebracht werden können. Ethisch zu agieren bedeutet daher zwischen Subjektivität und Objektivität, Geschichte und Dringlichkeit, Erzählung und Erfahrung zu navigieren. Die meisten ethischen Ansätze schwanken jedoch zwischen einem moralischen Universalismus, der auf einer privilegierten Einsicht in den Zusammenhang der Dinge beruht, und amoralischer Indifferenz, wie sie viele Avantgarden hochgehalten haben. Demgegenüber geht es in diesem Panel darum, eine Ethik des Symbolischen zu diskutieren, die an das Problem der Krise als Form anschließt. Eine solche Ethik muss die Spannungen zwischen Subjektivität und Objektivität, Perspektivismus und Universalismus bedenken und auf eine Art von Verantwortlichkeit für einen Zustand der Welt zielen, für die man individuell gar nicht verantwortlich gemacht werden kann.
Veranstaltet von den Abteilungen Kunsttheorie und Kunst und Wissenstransfer der Universität für angewandte Kunst Wien in Kooperation mit Studierenden der Akademie der bildenden Künste Nürnberg, der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Stuttgart und der Universität für angewandte Kunst Wien.
14–19 Uhr
11–17 Uhr
Hörsaal 1 (Ferstel-Trakt, EG)
Oskar-Kokoschka-Platz 2, 1010 Wien