Lehrveranstaltung

Ringvorlesung Permanent Migration

Transkulturalität und globale Kulturgeographien

Freitag, 15. März 2013
Christian Kravagna

Reinheit der Kunst in Zeiten der Transkulturalität: Modernistische Kunsttheorie und die Kultur der Migration

Die modernistische Kunsttheorie, prominent vertreten u. a. durch Clement Greenberg und Michael Fried, errichtet zwischen den 1940er und 1960er Jahren ein diskursives Gebäude, in dem die Fortschrittslogik der Moderne endgültig einzementiert scheint. Diese Theorie zelebriert die Reinheit der Künste, streicht die legitime Abgrenzung von anderen hervor, fordert den Ausschluss alles Uneigentlichen und verdammt jegliche Vermischung als Verfälschung und Niedergang. Angesichts ihrer hegemonialen Stellung im westlichen Kunstdiskurs in der entscheidenden Phase der Dekolonisation erscheint die modernistische Kunsttheorie mit ihrer radikalen Rhetorik der Grenze wie eine Festung gegen das Eindringen des Anderen. Damit steht sie in einem bemerkenswerten Kontrastverhältnis zu dem gleichzeitigen Aufkommen von Theorien der Transkulturalität (die als Kulturtheorien der Migration zu verstehen sind) im Kontext der Dekolonisationsbewegungen. Wie lässt sich dieses Verhältnis von modernistischer Grenz-Ästhetik und auf Migrationsphänomenen basierendem Transkulturalitätsdenken verstehen? Können wir hier nur den Widerspruch sehen und divergente Interessenslagen? Oder lassen sich auch Übergänge oder Übersetzungsprozesse zwischen beiden feststellen?

Christian Kravagna ist Kunsthistoriker, Kritiker und Kurator. Er ist Professor für Postcolonial Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien. Herausgeber der Bücher »Privileg Blick: Kritik der visuellen Kultur«, Berlin 1997; »Agenda: Perspektiven kritischer Kunst«, Wien/Bozen 2000 und »Das Museum als Arena: Institutionskritische Texte von Künstler*innen«, Köln 2001. Er ist Kurator der Ausstellungen »Routes: Imaging Travel and Migration«, Grazer Kunstverein 2002; »Migration: Globalisation of Cultural Space and Time«, Max Mueller Bhavan, New Delhi 2003 (mit Amit Mukhopadhyay); »Planetary Consciousness«, Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg 2008 und »Living Across: Spaces of Migration«, Akademie der bildenden Künste Wien 2010. Gemeinsam mit Hedwig Saxenhuber leitet Christian Kravagna den Kunstraum Lakeside in Klagenfurt.

Freitag, 22. März 2013
Birgit Haehnel

„Performing whiteness“ in Kunst und visueller Kultur

Der Vortrag stellt die Critical Whiteness Studies vor und welche Relevanz sie insbesondere für die Kunstwissenschaften bzw. für die visuelle Kultur haben. Im Grunde erhält die gendersensible Antirassismusforschung durch diesen Ansatz eine andere Gewichtung: Statt ausschließlich die diskriminierenden Stereotypisierungen der Alterität zu kritisieren, rückt nun zusätzlich das weiße Blickregime ins Bewusstsein des Forschungsinteresses. Weiße Blicke strukturieren die Bilder des Fremden, der Exotischen und Anderen. Sie materialisieren sich in hautmalerischen Körpermodellierungen auf der Leinwand oder prägen sich in die Dinge des Alltags ein, um so eine weiße Dominanzposition zu behaupten und zu festigen. Neben der kritischen Demontage dieses hegemonialen Blickregimes, werden auch Beispiele vorgestellt, die die hierarchisierenden Blickachsen durchkreuzen.

Birgit Haehnel, Dr. phil., ist Kunsthistorikerin und Projektleiterin des DFG-Forschungsprojekts zur Bedeutung des weißen Tuchs in der visuellen Kultur TU Darmstadt u. CePoG, Universität Trier. 2012 „Fluchtlinien – Kunst und Trauma“. Ausstellung Alte Schieberkammer Wien. 2007/08: Gastprofessur Universität Osnabrück – Textiles Gestalten. 2004 Promotion zu Nomadismuskonzepten in der Kunst nach 1945. Forschungen zu Gender, Postkolonialismus, Biopolitik, Migration und Erinnerung. Publikationen: (Hg. mit Marianne Koos) Stoffe weben Geschichte(n) – Textilien im transkulturellen Vergleich. FKW, H 52, Marburg 2011, (Hg. mit Melanie Ulz) Slavery in Art and Literature. Approaches to Trauma, Memory and Visuality. Berlin 2010.

Freitag, 12. April 2013
Katharina Jesberger

Die Ethik der Créolité. Zur Etablierung und Umsetzung eines kulturtheoretischen Konzepts auf der Documenta11

Mit der Präsentation der Créolité auf Plattform3 der Documenta11 hat Okwui Enwezor ein bis dahin im Kunstkontext wenig wahrgenommenes Konzept der Transkulturalität eingeführt, das 1989 von drei Literaten der Karibik (Jean Bernabé, Patrick Chamoiseau und Raphaël Confiant) formuliert wurde. Aufbauend auf den vorausgehenden Konzepten der Négritude und Antillanité versteht sich die Ethik der Créolité als Weg zur Überwindung ästhetischer Fremdbestimmung. Der Vortrag geht der Frage nach, was Enwezors Positionierung des Begriffs im Gefüge der internationalen Großausstellung Documenta bedeutet.

Katharina Jesberger, M.A., ist Assistentin in der Abteilung Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst Wien. Nach einem Studium in Kunstgeschichte und Italianistik an den Universitäten Stuttgart und Basel und einem Master in Video-Postproduktion an der Universität Florenz arbeitet sie derzeit an einer Dissertation zu den Videobewegungen der 70er Jahre. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Videokunst, Medienkunst, Avantgardeforschung, transkulturelle Kunstgeschichte, Künstlerkollektive.

Freitag, 26. April 2013
Georg Vasold

Die Anfänge der Weltkunstgeschichtsschreibung um 1900: Wege, Umwege, Irrwege.

Der Vortrag stellt die Frage nach den Anfängen der Weltkunstforschung um 1900. Anhand einiger Beispiele (Aby Warburg, Gottfried Semper, Josef Strzygowski) soll dargestellt werden, unter welchen Bedingungen und mit welchen Mitteln versucht wurde, das stark eurozentrisch geprägte Fach zu erweitern bzw. zu reformieren. Dabei beschritt man unterschiedliche Wege, die die Kunstgeschichte eng an Disziplinen wie die Ethnologie oder die Geographie heranführten. Insbesondere ist in der Vorlesung auf die Diffusionstheorie (Migrationstheorie) zu verweisen, die für kurze Zeit als Königsweg der modernen Kunstforschung galt.

Georg Vasold, Dr. phil, ist Kunsthistoriker und seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter der DFG-Forschergruppe 1703 „Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst“ an der Freien Universität Berlin. Studium in Wien und Utrecht, Promotion 2004 mit der Arbeit „Alois Riegl und die Kunstgeschichte als Kulturgeschichte“ (Freiburg im Breisgau 2004). 2001/02 Junior Fellow am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien; 2005 Fellow am Collegium Budapest. Von 2004 bis 2011 Univ.-Assistent am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien. Forschungen zur Geschichte der Kunstgeschichte sowie zur Kunst nach 1945.

Freitag, 3.Mai 2013
Verena Krieger

„Alte Welt Neue Welt“ – Stephan Hubers künstlerische Reflexion über den globalen Wandel

In seiner Werkserie von „Karten“ artikuliert Künstler Stephan Huber mit dem Mittel der Kartographie seine eigenen, sehr persönlichen Weltsichten. Es handelt sich um auf dokumentarischem Material basierende fiktionale Topographien, in denen Historisches, Poetisches und Autobiographisches phantasmagorisch vermengt als psychohistorische Landschaften vor Augen treten. In „Alte Welt – Neue Welt“ richtet der Künstler seinen Blick auf das politische Weltgeschehen.
Über drei großformatige Bildtafeln hinweg werden die aktuellen globalen Umbrüche thematisiert in Form einer Weltkarte, die Krieger einer von links nach rechts lesbaren Entwicklung einen grundlegenden Gestaltwandel vollzieht. Nach einer ersten Orientierungsreise durch diese phantastische neue Welt wird Krieger Hubers Karte entlang von drei polaren Begriffspaaren analysieren, um innerhalb der durch diese jeweils erzeugten Spannungsfelder die ästhetischen und konzeptuellen Spezifika der Karte präziser zu bestimmen. Dabei werden auch einige andere kartographischen Arbeiten aus der Kunst des 20. Jahrhundert zum Vergleich herangezogen. Diese polaren Begriffspaare sind: 1. Topographie und Temporalität, 2. Ambiguität und Engagement , 3. Kunst und Kartographie.

Verena Krieger ist Ordinaria für Kunstgeschichte an der Universität Jena. Von 2008–2011 Leiterin der Abteilung Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst Wien. Forschungsschwerpunkte: Moderne und zeitgenössische Kunst, Kunsttheorie der Neuzeit und Moderne, Genderforschung, Avantgarde und Politik, Methodenfragen der Kunstgeschichte. Publikationen: Kunst als Neuschöpfung der Wirklichkeit. Die Anti-Ästhetik der russischen Moderne, Köln, Weimar, Wien 2006 (Habil.); Was ist ein Künstler? Genie, Heilsbringer, Antikünstler. Eine Ideen- und Kunstgeschichte des Schöpferischen, Köln 2007.

Freitag, 7. Juni 2013
Tobias Wendl

Appropriation und Translation als „Travelling Concepts“. Fallbeispiele aus der künstlerischen Praxis und Kunstgeschichte Afrikas
Appropriation – Eine Begrifflichkeit im Spannungsfeld von künstlerischer Praxis und kulturwissenschaftlicher Forschung mit Fallbeispielen aus der Kunstgeschichte Afrikas.

„Appropriation“ bzw. „Aneignung“ lässt sich im Sinne von Mieke Bal (2002) als ein „Travelling Concept“ verstehen, das in den unterschiedlichen diskursiven Kontexten (Fächern, Regionen, Denk- und Kunsttraditionen) spezifische Modifikationen und Konkretionen erfuhr. In der künstlerischen Praxis wurde es zunächst als „Détournement“ im Umkreis der Situationisten virulent, etwas später, in den 1970er Jahren, in der US-amerikanischen „Appropriation Art“. In der Kunstwissenschaft selbst ist es ein Spätankömmling, denn hier dominierten eher passivische Konzepte wie „Anleihen“ und „Einflüsse“. Die Einfluss-Kunstgeschichte verschleierte lange Zeitdas aktive Handeln und die Interessenslagen der im Kunstfeld beteiligten Akteure. Der Vortrag untersucht die Frage, wie sich das in den letzten beiden Dekaden vor allem in den Cultural und Media Studies sowie in der Ethnologie profilierte Aneignungskonzept auf den Bereich der Kunst Afrikas übertragen lässt und plädiert dafür, hierbei die translatorischen Aspekte noch stärker in den Blick zu nehmen und zu schärfen.

Tobias Wendl ist Professor für die Kunst Afrikas und Mitarbeiter der DFG-Forschergruppe „Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst" am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin. Er lehrte an den Universitäten von München, Köln, Frankfurt a.M. und Bayreuth. Zahlreiche Dokumentarfilme und Ausstellungen. Themenschwerpunkte in Forschung und Lehre: alte, moderne und zeitgenössische Kunst Afrikas und der Diaspora, Religion, Medien, populäre und urbane Kulturen, Kino, Musik, Transkulturalität, Museums- und Ausstellungswesen. Publikationen u.a.: „Black Paris. Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora“. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2006 (mit Bettina von Lintig und Kerstin Pinther); „Snap me one! Studiofotografen in Afrika“. Prestel, München 1998 (mit Heike Behrend) sowie „Mami Wata oder ein Kult zwischenden Kulturen“ Verlag Lit, Münster 1991.

14. Juni 2013
Susanne Leeb

Zeitgenössische Kunst und Weltkultur: Umordnung der Museen

Mit zeitgenössischer Kunst und ethnologischen Museen kreuzen sich zwei „Welten“, die der Kunst mit großem K und der Artefakte meist nicht-europäischer Kulturen, unabhängig von ihrem Status als Kunst oder Alltagsobjekt. Diese „Welten“, die sich hier kreuzen, sind allerdings historische Effekte von Institutionalisierung und Klassifizierung. Zeitgenössische Kunst, die sich auf diese Effekte bezieht, adressiert meist das koloniale Erbe der ethnologischen Museen, während der Kunstbegriff selbst unangetastet bleibt. Vor allem anhand zweier Ausstellungen – „Les Musées sontdes Mondes“ (Louvre, Paris) und „Objekt Atlas“ (Weltkulturen Museum, Frankfurt/M.) – geht der Vortrag der Frage nach, inwieweit Kunst, die sich mit solchen Institutionalisierungseffekten befasst auch eine Neuordnung der Museen, ihrer Narrative sowie ihrer Kategorien erfordern würde. Diese Frage stellt sich insbesondere, wenn man die derzeitige Rede von einer Global Art nicht nur als Manifestation neo-imperialer Strukturen versteht, die sich entlang der weltweiten Kapitalströme etablieren, wie vielfach zurecht kritisiert, sondern auch als Möglichkeit, ihren impliziten Anspruch auf Universalität im Namen von partikularen Interessen zu nutzen und zu durchkreuzen.

Susanne Leeb ist Assistenzprofessorin für zeitgenössische Kunst an der Universität Basel und Mitherausgeberin der Buchreihe PoLYpeN (b_books, Berlin). Sie hat über „'Weltkunst' und die anthropologische Konfiguration der Moderne" promoviert. Jüngere Publikationen: „Hegemonial Revenge. Weltkunstgeschichte gestern und heute" (in: Kulturrisse 2011), (Hg.) „Materialität der Diagramme. Kunst und Theorie" (2012), „Der Unort von Karten und das Nirgendwo der Kunst. Drei Weisen der Entortung" (in: KartenWissen, hg. v. S. Günzel, L. Novak, 2012)

Videos: Aufnahmen & Bearbeitung: Hüseyin Keskin

Freitag

11–13 Uhr

Universität für angewandte Kunst Wien


Hörsaal 1 (Ferstel-Trakt, EG), Oskar-Kokoschka-Platz 2, 1010 Wien