Hans Felix Kraus (Wien 1916 – 1973 Guadalajara) – Schenkung von Arbeiten an Kunstsammlung und Archiv
Von der Wiederentdeckung eines vertriebenen Künstlers
4. Dezember 2024
Im Gedenken an Hans Felix Kraus, der von 1930 bis 1935 an der Kunstgewerbeschule, der heutigen Angewandten studiert hatte, schenkte Helen Kraus der Kunstsammlung Arbeiten ihres Vaters. Der Künstler war schon während des Studiums prominent in Ausstellungen vertreten und zudem als Illustrator, Kunstkritiker und Kurator erfolgreich tätig. Seine Karriere fand allerdings mit dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 ein jähes Ende. Er floh über Umwege nach New York, wo er weiterhin als Graphiker und Verleger arbeitete. Am 2. September 2024 übergab Helen Kraus in Anwesenheit von Rektorin Petra Schaper Rinkel zahlreiche Holzschnitte, Lithographien, Collagen, sowie von Kraus gestaltete Bücher, die – mit wenigen Ausnahmen – in Wien bis zu seiner Flucht entstanden waren.
Doch wer war der heute völlig unbekannte Hans Felix Kraus und wie kam es zu der Schenkung? Die Vorgeschichte dazu geht mehr als zehn Jahre zurück und begann mit einem E-Mail an den damaligen Rektor Gerald Bast und in Folge an Kunstsammlung und Archiv:
„My father, Hans Felix Kraus, graduated from the Kunstgewerbeschule in June 1935. […] With the Anschluss, my father made his way to Lisbon and then to New York City. He lived mostly in New York, dying in Mexico in 1973. My father’s work shows the influences of his training as an artist at the Kunstgewerbeschule and his immersion in the artistic ideas surrounding him. Throughout his life, my father continued to produce book illustrations, paintings, books, articles, and art objects.” Mit diesen Zeilen wandte sich Helen Kraus im April 2013 an die Angewandte. Ein Monat später war sie aus Boston nach Wien gereist, um den Spuren ihres Vaters zu folgen. Die Ausbeute ihrer Recherchen in Kunstsammlung und Archiv der Angewandten war allerdings mager: Neben den Studienunterlagen waren gerade einmal zwei kleinformatige, doch bemerkenswerte Holzschnitte zu finden: eine formal reduzierte, sehr humorvolle Wirtshausschlägerei (1933) und die Einladung zur eigenen Ausstellung in der Wiener Secession (1934). Fragen kamen von beiden Seiten: Wo kann man noch weiter recherchieren? Und umgekehrt: Was hat der Künstler noch gemacht? Weitere Arbeiten im Familienbesitz aus dem Jahr 1934 machten es schlagartig klar: Hans Felix Kraus ist eine Wiederentdeckung wert!
Genau zehn Jahre später, im Mai 2023, wurde in Anwesenheit der extra aus den USA angereisten Familie eine kleine Ausstellung mit Arbeiten von Hans Felix Kraus eröffnet und war im Rahmen der Gedenkinitiative „Sonderfall“ Angewandte. Im Fokus zu sehen (Kuratorin: Bernadette Reinhold). Gezeigt wurden die Illustrationen zu Alphonse Daudets Roman Tartarin de Tarascon (1872) von 1934, die in ihrem Entstehungsjahr in der Secession zu sehen waren – der 18jährige Kraus war zu dem Zeitpunkt noch Student der Kunstgewerbeschule. Sie offenbaren eine einzigartige, witzig-fantasievolle Bildsprache und raffinierte Abstrahierung des Figurativen. Vor dem Hintergrund der Ausschaltung des Parlaments 1933, der blutigen Februarkämpfe 1934 und des Führerkults um Engelbert Dollfuß widmete sich der (kultur-)politisch engagierte Künstler nicht zufällig dem Maulhelden und tragikomischen Löwenjäger Tartarin und illustrierte zeitgleich die Geschichten des Lügenbarons Münchhausen. Nach knapp 90 Jahren wurde der Tartarin-Zyklus erstmals wieder ausgestellt: es sollte nach seiner Flucht aus Wien 1938/39 überhaupt die erste, leider nur posthume Ausstellung von Hans Felix Kraus sein.
Hans Felix Kraus begann 1930 mit jugendlichen 14 Jahren an der Kunstgewerbeschule bei Franz Čižek, Bertold Löffler und Wilhelm Müller-Hoffmann zu studieren und zählte zu den begabtesten Student:innen. Seine Arbeiten wurden bald mehrfach in der Secession (1934), im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute: MAK), in einigen avancierten Wiener Galerien, aber auch in Rom und auf der Weltausstellung in Brüssel (1935) ausgestellt. Er arbeitete zudem als Kurator, etwa einer Schau zu japanischen Kinderzeichnungen (Galerie Würthle Wien), als viel beschäftigter Kunstkritiker für u.a. deutsche und niederländische Zeitschriften und war im international orientierten Österreichischen Kulturbund aktiv. Der junge Künstler war bestens vernetzt: So war er wiederholt als Illustrator für die Büchergilde Gutenberg tätig, die Teil der (deutschen) Arbeiterbewegung war. Er hatte aber auch Kontakte zur heimischen Tanzszene, wie eine noch 1938 veröffentlichte Lithographie-Serie zu Gertrud Kraus demonstriert. Sie war neben Grete Wiesenthal und Gertrud Bodenstein eine der Reformerinnen des freien Tanzes in Wien und wanderte aus politischen Gründen 1934 nach Palästina aus. H. F. Kraus war umfassend literarisch und kunsthistorisch gebildet, wobei er als Künstler sowie als Autor eine große Affinität zu nahöstlicher und asiatischer Kunst zeigte. Seine minutiösen Holzschnitte zum Zyklus Das Lied der Erde oder dem Märchen Der Fischer und seine Frau erweisen sich als Mikrokosmos im Kleinformat.
Mit dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland im März 1938 war – wie erwähnt – die Karriere des 22-Jährigen mit einem Schlag beendet. Nach einer strapaziösen Flucht über Italien, Frankreich und Spanien nach Portugal bestieg er mit seiner Mutter Elsa Scheibner (1886–1972), die vermutlich als Journalistin in Wien gearbeitet hatte, im März 1939 in Lissabon ein Schiff nach Southampton. Von dort aus ging es wenige Tage später nach New York. Viele Jahre später erzählte er seiner Tochter Helen über die Flucht mit dem Zug in Italien: “I was talking to a young man in my compartment on the train. We were talking about politics. All of a sudden, I realized he had some sort of Mussolini label on his clothing. ‘Now, I’m sunk,’ he thought. Nothing happened.“ (1)
In New York war er weiterhin als Künstler, Autor und Verleger tätig, arbeitete unter anderem für La Voix de France, die Zeitung der weltweit agierenden Bewegung gegen das Vichy-Regime, was eventuell auf während der Flucht geknüpfte Kontakte schließen lässt. Er war mit Alexander Archipenko und vielen Künstlern und Intellektuellen auch in Mittel- und Südamerika befreundet, übersiedelte nach Mexiko, wo er mit nicht einmal 60 Jahren starb.
Kraus ist heute selbst in Fachkreisen völlig unbekannt – der Stachel des Vergessens sitzt tief.
Die erwähnte Ausstellung (Mai – Juni 2023), die Publikation „Sonderfall“ Angewandte. Die Universität für angewandte Kunst Wien im Austrofaschismus, Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit und nicht zuletzt die Sichtbarmachung der großzügigen Schenkung von Helen Kraus sind ein Versuch, den weitgehend in Vergessenheit geratenen Künstler ins kollektive Gedächtnis zurückzuholen und ihm als kritische Stimme der österreichischen Moderne Gehör zu verschaffen.
Text: Bernadette Reinhold
Fußnoten:
(1) Helen Kraus an Bernadette Reinhold, E-Mail 21. Februar 2023.
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Hans Felix Kraus (Vienna 1916 - 1973 Guadalajara) - Donation of works to the Collection and Archive
The rediscovery of an exiled artist
4. December 2024
In memory of Hans Felix Kraus, who studied at the Kunstgewerbeschule (now the Angewandte) from 1930 to 1935, Helen Kraus donated works by her father to the Collection and Archive. The artist was already prominently represented in exhibitions during his studies and also worked successfully as an illustrator, art critic and curator. However, his career came to an abrupt end with the “Anschluss” of Austria in March 1938. He fled via detours to New York, where he continued to work as a graphic artist and publisher. On 2 September 2024, in the presence of Rector Petra Schaper Rinkel, Helen Kraus donated numerous woodcuts, lithographs, collages and books designed by Kraus, which - with a few exceptions - he had created in Vienna before his escape.
But who was the now completely unknown Hans Felix Kraus, and how did the donation come about? The story goes back more than ten years and began with an email to the rector at the time, Gerald Bast, and subsequently to the Collection and Archive of the Angewandte:
“My father, Hans Felix Kraus, graduated from the Kunstgewerbeschule in June 1935. [...] With the Anschluss, my father made his way to Lisbon and then to New York City. He lived mostly in New York, dying in Mexico in 1973. My father's work shows the influences of his training as an artist at the Kunstgewerbeschule and his immersion in the artistic ideas surrounding him. Throughout his life, my father continued to produce book illustrations, paintings, books, articles, and art objects.” Helen Kraus wrote these lines to the Angewandte in April 2013. A month later, she had traveled from Boston to Vienna to follow in her father's footsteps. However, the results of her research in the Angewandte's Collection and Archive were meagre: in addition to the study documents, there were just two small-format but remarkable woodcuts: a formally reduced, very humorous Tavern brawl (Wirtshausschlägerei) (1933) and the invitation to his own exhibition at the Vienna Secession (1934). Questions came from both sides: Where could we do more research? And vice versa: What else did the artist do? Further works in the family collection from 1934 suddenly made it clear: Hans Felix Kraus is worth rediscovering!
Exactly ten years later, in May 2023, a small exhibition of works was put on display as part of a remarkable remembrance initiative, “Sonderfall” Angewandte. Spotlight (curator: Bernadette Reinhold). Kraus’s descendents traveled all the way from the USA for this unique event. On display were his illustrations of Alphonse Daudet's novel Tartarin de Tarascon (1872) from 1934, which were shown at the Secession in the year they were created - the 18-year-old Kraus was still a student at the Kunstgewerbeschule at the time. They reveal a unique, comically imaginative imagery and a sophisticated figurative abstraction. Against a backdrop of the elimination of the Parliament in 1933, the bloody February Uprising in 1934 and the leadership cult surrounding the Austro-fascist chancellor Engelbert Dollfuß, it was no coincidence that the culturally and politically active artist devoted himself to the tragicomic lion hunter and braggart Tartarin, at the same time providing the illustrations for the Baron Munchausen’s tall tales. The Tartarin cycle was exhibited again for the first time in almost 90 years: it was to be Hans Felix Kraus's first ever exhibition after his escape from Vienna in 1938/39, but unfortunately only posthumously.
Hans Felix Kraus began studying at the Kunstgewerbeschule with Franz Čižek, Bertold Löffler and Wilhelm Müller-Hoffmann in 1930 at the age of 14 and was one of the most talented students. His works were soon exhibited several times at the Secession (1934), the Austrian Museum of Art and Industry (today: MAK Vienna), and in several advanced Viennese galleries, as well as in Rome and at the World Exhibition in Brussels (1935). He also worked as a curator (for example of a show on Japanese children's drawings at Galerie Würthle Vienna), as an highly engaged art critic for German and Dutch magazines, among others, and was active in the internationally oriented Österreichische Kulturbund (Austrian Cultural Association). The young artist was very well connected: he repeatedly worked as an illustrator for the Büchergilde Gutenberg, which was part of the (German) Workers movement. He also had contacts with the local dance scene, as demonstrated by a series of lithographs of Gertrud Kraus published in 1938. Alongside Grete Wiesenthal and Gertrud Bodenstein, she was one of the reformers of free dance in Vienna and emigrated to Palestine in 1934 for political reasons. H. F. Kraus was extensively educated in literature and art history, showing a great affinity for Middle Eastern and Asian art both as an artist and as an author. His meticulous woodcuts for the cycle Das Lied der Erde (The Song of the Earth) and the fairy tale The Fisherman and His Wife prove to be a microcosm in miniature.
The “Anschluss” of Austria to Nazi Germany in March 1938 put an end to the 22-year-old's career in one fell swoop. After an arduous escape to Portugal via Italy, France and Spain, he boarded a ship in Lisbon in March 1939 with his mother Elsa Scheibner (1886-1972), who had probably worked as a journalist in Vienna, bound for Southampton. From there, they left for New York a few days later. Many years later, he told his daughter Helen about his narrow escape by train in Italy: “I was talking to a young man in my compartment on the train. We were talking about politics. All of a sudden, I realized he had some sort of Mussolini label on his clothing. 'Now, I'm sunk,' he thought. [But] nothing happened.” (1)
In New York, he continued to work as an artist, author and publisher, working for La Voix de France, the newspaper of the worldwide movement against the Vichy regime, among others, which may indicate contacts he made during his escape. He was also close friends with Alexander Archipenko and many artists and intellectuals in Central and South America, and he eventually moved with his wife to Mexico, where he died at the age of 57.
Kraus is completely unknown today, even in specialist circles – the sting of oblivion runs deep.
The aforementioned exhibition (May - June 2023), the publication “Sonderfall” Angewandte. The University of Applied Arts Vienna under Austrofascism, National Socialism and in the Post-War Period and, last but not least, the visualization of Helen Kraus’s generous donation are an attempt to bring the largely forgotten artist back into the collective memory and make him heard as a critical voice of Austrian modernism.
[by: Bernadette Reinhold]
Fußnoten
(1) Helen Kraus to Bernadette Reinhold, E-Mail February 21st, 2023